Mittlerweile besucht er mich jeden Tag. Auch heute kommt er pünktlich vorbei.
Im Winter ist nicht viel los am Campingplatz. Dauercamper gibt es hier nur wenige. Ich bin meistens der Einzige. Das ist mir sehr recht.
Mein Wohnwagen steht am äußersten Ende des Platzes. Dort beginnt der Wald. Vor mir der Teich, hinter mir der Wald. Das finde ich gut. Im Wald wohnt auch mein Gast.
Wenn ich aufstehe, sitzt er schon unter dem Haselnussstrauch und schaut mit runden Augen heraus. Ich muss immer zur selben Zeit aufstehen. Er wartet schon auf mich. Das heißt, ich darf am Vorabend nicht trinken. Ich muss mich zusammenreißen. Ich denke, ich brauche den Alkohol nicht, aber er ist ein zuverlässiges Löschpapier all meiner Sorgen.
Wenn ich am Abend saufe, wache ich am nächsten Tag zu spät auf und dann ist er weg. Bin ich noch halb besoffen, bewege ich mich auch ruckartig und lärme herum. Das erschreckt ihn, das macht ihm Angst, und er kommt vielleicht nicht wieder.
Drei Tage lang war er einmal am Stück nicht da und ich habe ihn sehr vermisst.
Jetzt aber sitzt er unter dem Haselnussstrauch und wartet angespannt. Soweit ich sehen kann, hat er schon ein Winterfell. Es ist grau getigert und seine Augen schimmern darin katzengrün. Er muss ein junger Kater sein, fast noch ein Kätzchen. Wo er wohl herkommt? Hat ihn jemand ausgesetzt?
Wenn ich draußen vor dem Wagen sein Schüsselchen mit Katzenfutter fülle, murmle ich in einem ruhigen Singsang vor mich hin. »Schöne Katze«, sage ich. »Du bist eine sehr schöne Katze. Ich freue mich, dass du da bist. Geht es dir gut? Hast du Hunger? Komm zum Frühstück, Katze. Komm nur.«
Langsam und geduckt, das Schüsselchen in der ausgestreckten Hand, schleiche ich auf den Haselnussstrauch zu. Heute stelle ich nur mehr vier lange Schritte von der Tür meines Wohnwagens entfernt das Schüsselchen ab.
Vor fünf Wochen habe ich das Schüsselchen direkt unter dem Strauch hingestellt. Am nächsten Morgen war es leer. Nach einer Woche hat er begonnen, in Sichtweite meiner Person zu essen. Höllisch auf der Hut, immer fluchtbereit.
Mittlerweile kommt er bis auf vier große Menschenschritte an mich heran. Wir nähern uns einander an, mein Vielleicht-Freund, der Kater, und ich. Wir haben es beide nicht leicht im Leben. Er kratzt sich oft. Kann sein, dass er Flöhe hat. Ganz sicher hat er Flöhe – und Zecken und anderes Ungeziefer. Er hat kein Zuhause und mir ist nach der Scheidung als Zuhause nur der alte, schäbige Wohnwagen geblieben. Wir haben einiges gemeinsam. Nur Flöhe hab ich Gott sei Dank keine.
Hin und wieder verkaufe ich auf den Kunsthandwerksmärkten ein Bild. Davon lebe ich. Katzenfutter geht sich im Budget aus. Der billige Rotwein ist auf Dauer auch keine Lösung. Katzenfutter ist sicher die bessere Investition. Fühlt sich auf alle Fälle richtiger an, dafür Geld auszugeben als für Rotwein aus der Packung.
Ich setze mich auf die Eingangsstufen an der Tür meiner Kaschemme.
Er wartet noch ein Weilchen, beobachtet mich und die Umgebung, schätzt die Gegebenheiten ab und schleicht geduckt zum Schüsselchen. Mit vorsichtigen Blicken nach allen Seiten beginnt er zu essen.
»Mahlzeit, Katze«, sage ich. »Lass es dir schmecken. Heute gibt es Thunfisch. Lecker, oder?« Er soll sich an meine Stimme gewöhnen. Wir haben beide unsere Meinung übereinander geändert. Als ich ihn das erste Mal vorbeihasten gesehen habe, da habe ich gedacht: eine Katze, schäbig, krank und voller Parasiten – wäääh.
Du, mein Freund, hast dir sicher gedacht: Wieder einer von denen! Wieder einer, der mich vertreibt, etwas nach mir wirft, mir wehtut! Vielleicht will der mich auch jagen und fressen! Du bist um dein Leben gerannt, mit Hunger, so groß wie eine Faust in deinem Leib. Denn was hättest du anderes gesucht auf diesem abgehalfterten Campingplatz als etwas zu essen?
Da habe ich dir das Schüsselchen unter den Haselnussstrauch gestellt. Dein Schüsselchen. Und jetzt kommst du jeden Tag zu mir auf Besuch.
Nicht ganz uneigennützig, muss ich zugeben. Bei mir gibt es Verpflegung für dich. Aber ich hab ja auch etwas davon. Ich bekomme Besuch jeden Tag und der Besucher braucht mich. Könnte sein, dass du in den kommenden Wochen verhungern würdest ohne meine Zuwendung. Hier gibt es ja nichts außer den Teich und viel Wald. Hat deine Mama dir gezeigt, wie man ohne Menschenhilfe durchkommt?
Wohl nicht. Du bist eine Hauskatze und du bist noch klein.
Und so sind wir schon zwei. Wir sind hier draußen ein Team.
Ich sehe, sorgfältig kaut der Kater jedes Stückchen Futter. Er schließt sogar kurz die Augen beim Essen und genießt die Verpflegung. Am Ende leckt er das leere Schüsselchen noch sauber und sammelt jedes Bröckchen daraus auf.
Als sich wirklich nichts mehr darin findet, bleibt er daneben sitzen und schaut mich, den Menschen, an.
»Hat es geschmeckt?«, frage ich ruhig. »War es gut? Kommst du morgen wieder? Ja?«
Der Kater sitzt vier Menschenschritte von mir entfernt. So nahe wie noch nie. Er betrachtet mich wachsam, aber er flüchtet nicht.
Ich würde mir wünschen, dass er bald drei Menschenschritte von mir entfernt sitzt und dann vielleicht zwei. Ich habe Zeit, ihn kennenzulernen und er, glaube ich, mich auch.
Wir könnten richtig gute Freunde werden, wir beide. Wir könnten der Sinn im Leben des anderen werden. Ich würde ihn gern von seinen Flöhen befreien und ihm ein Dach über dem Kopf geben. Auch wenn ich nur das Dach eines alten Wohnwagens anbieten kann. Aber immerhin.
Ich freue mich darauf, sein weiches Fell zu streicheln und ihn zwischen den Ohren zu kraulen. Bestimmt kann er auch erstklassig schnurren.
Wir haben keine schlechten Karten, wir zwei. Wir gehen es langsam an mit unserer Freundschaft, aber es sieht schon mal verdammt gut für uns aus.

Karina Luger
Karina Luger
Ist in Ried im Innkreis geboren und auf einem Bauernhof an der österreichisch-bayrischen Grenze aufgewachsen. Nach dem Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Salzburg ist sie zum Leben und Arbeiten nach Linz an der Donau gezogen, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ihre Texte wurden in zahlreichen Anthologien Österreichs und Deutschlands veröffentlicht.