Spontaneität entspricht absolut meinem Wesen und ich liebe sie. Die Entscheidung fiel 14 Tage vor dem Abflug. Eine Auszeit war vonnöten, ein guter Freund von mir hatte eine Reise nach Kanada geplant und er hatte nichts gegen Anschluss. Also habe ich mich über die wenig bis gar nicht vorhandene Begeisterung meines Freundes hinweggesetzt, die bereits geplante Kündigung des Arbeitsplatzes vorverlegt und meinen Koffer gepackt.
In Vancouver wartete ich dann auf Markus, der mir ein paar Tage später über London folgte. Die Jugendherberge und die seltsame Gegend, in der sie lag, bremsten anfänglich meinen Enthusiasmus. Als wir uns dann aber auf die Fahrt zur Ranch machten, wo wir eine Woche Reiterferien gebucht hatten, verschwanden rasch alle Zweifel.
Der Herbst hatte seine Farben mit voller Wucht ins Land geworfen. Eine Off-Road-Straße mitten in der Wildnis, gesäumt von Laubbäumen von solch intensiver gelber Farbenpracht, wie ich es noch nie gesehen hatte. Unbeschreiblich, diese Herbststimmung. Außer unserem roten Jeep war kein Auto unterwegs. Auf der Ranch waren wir in einer Cabin – ein kleines bewohnbares Blockhaus – untergebracht. Als Heizung diente ein einfacher Ofen, das Holz dafür musste Markus täglich selbst hacken. In der wohligen Wärme verschlang ich auf der gemütlichen Couch immer bis tief in die Nacht hinein ein Buch nach dem anderen. Unsere Tage in dieser fantastischen Umgebung waren gefüllt mit Reiten, interessanten Gesprächen, wunderbaren Eindrücken. Eines Tages trafen wir sogar auf eine Schwarzbär-Mama mit zwei Jungen.
Als ich mich an einem Nachmittag zu einer Tour mit dem Mountainbike aufmachte, wurde es mir dann so richtig bewusst. Gleich hinter der Umzäunung des Hofes begann die gigantische, aber gleichzeitig auch Respekt einflößende Natur. Ein unbeschwerter Ausflug in den Wald, wie ich es von zu Hause gewohnt war, war hier nicht so einfach möglich. Klingt vielleicht witzig, aber ich habe bei meinem Ausflug ununterbrochen die Fahrradklingel betätigt, um die wilden Tiere auf mich aufmerksam zu machen. Und war wohl noch nie so erleichtert, irgendwo wieder hinter einem Zaun wieder in Sicherheit zu sein.
Nach dieser so eindrucksvollen Woche setzten wir unsere Reise quer durch British Columbia fort. Wir waren im Oktober unterwegs, hatten das unglaubliche Glück, alle wichtigen Ziele noch kurz vor Saisonende zu erreichen. Es waren nicht mehr viele Touristen unterwegs. Die Sonne lachte vom Himmel und auch wenn es einmal regnete, unterstrich das nur diese unbeschreibliche Jahreszeit. Hinter jeder Wegbiegung erwarteten uns immer eindrucksvollere Bilder, Laubbäume entlang eines Flusses, einer schöner als der andere. Wir hatten ein Gefühl, als würde das ganze Land uns gehören.
Ich merkte eigentlich erst bei meiner Ankunft in München, was mir diese Reise geschenkt hatte. Schon bei der Heimreise dachte ich mir, STOP – HALT, bitte, lasst mich umkehren und wieder in den Flieger steigen. Die Hektik des Autobahnalltags überrannte mich regelrecht. Blinker raus, rauf aufs Gas, wagemutige Überholmanöver, bremsen, wieder beschleunigen und dann das ganze wieder von vorn. Das war ich nach drei Wochen nicht mehr gewohnt, trotz der zurückgelegten 3000 Kilometer. Ich, die selbst ein hektisches Wesen besitzt, die am liebsten drei Dinge gleichzeitig macht, die nicht stillsitzen kann, die immer unter Strom steht, die kribbelig wird, wenn etwas zu langsam geht, hatte die Ruhe entdeckt und tief in mir aufgenommen.
Meine Mutter bemerkte gleich die Veränderung. Es gelang mir, dieses Gefühl für eine ganze Weile zu bewahren, allerdings holte mich mit der Zeit der Alltag wieder ein. Der Sog des Stresses und die Schnelllebigkeit nahmen, theatralisch gesprochen, wieder Besitz von mir. Was aber bleibt, ist die Wehmut des Verlorenen und die Sehnsucht nach dem Möglichen.