Die Stadt zählte zu den reichsten der Welt. Manche meinten, sie sei überhaupt die reichste. Wer nur von goldenen Tellern aß, galt als zur unteren Mittelschicht gehörig. Unterhalb der unteren Mittelschicht gab es nichts. Oberhalb aß man von Tellern aus künstlichem Marmor, dessen Herstellung teurer war als Diamanten entsprechender Größe. Man aß nicht, man speiste.

Das Rathaus war mit goldenen Ziegeln gedeckt, die je Stück für Stück von den ersten Goldschmieden des Erdkreises handgefertigt und signiert waren. Regnete es durch, wurde das Wasser in einer Amphora aufgefangen, die nachweislich aus dem Besitz Kaiser Hadrians stammte. Die Amphora hatte früher dem König von Spanien gehört. Für den Betrag, um den die Stadt diese Amphora kaufte – allein zu dem Zweck, das Regenwasser aufzufangen, wie gesagt – konnte der König von Spanien eine Flotte von vierzig Galeeren bauen und ausrüsten lassen, die dann allerdings, bis auf zwei, vor Venezuela sanken. Die restlichen zwei Galeeren holten die Seeräuber.

Der Regen selber war zwar Regen wie anderswo auch, daran konnte die Stadt und konnten die reichen Bürger nichts ändern, aber die Regenschirme waren entweder aus Schwanenzwerchfell oder aus Nerzwolle. Die Dachrinnen und die Traufen waren aus Silber, mit Goldfäden handumsponnen nach Entwürfen italienischer Meister.

Das Denkmal des Stadtgründers war aus Holz – ja, man höre und staune: aus Holz. Aber es war nicht geschnitzt, sondern von dreihundert Mohrensklaven aus einem Stamm der äußerst seltenen Wanzenbunyan-Art gebissen.

Die Amtshausschuhe des Bürgermeisters waren aus gegerbtem Tiefseefisch-Leder, gefüttert mit Pelz, der aus den Barthaaren neugeborener Hasen gewebt war. Auf dem einen Hausschuh war das Wappen der Stadt in vergoldeten Haifischmilchzähnen, auf dem anderen ein immerwährendes Segenszeichen aus flüssig gesponnenem Diamantendraht eingewebt. Drohten den Aktien der Stadt Kurseinbrüche, zog der Bürgermeister die Amtshausschuhe an, stieg auf einen etwa kniehohen Hügel in der Mitte des Marktplatzes und schüttelte den Fuß mit dem Hausschuh mit dem Segenszeichen feierlich nach allen Himmelsrichtungen, wobei gleichzeitig ein vierundzwanzigstimmiger Chor japanischer Kastraten einen so gut wie unhörbaren Hymnus sang, für dessen Komposition der berühmte Meister Georgio Del Prato seinerzeit den Gegenwert einer zweitürmigen, fünfschiffigen Kathedrale erhalten hatte – unverzüglich erholte sich der Aktienkurs. Das Segenszeichen war unfehlbar.

Die Stadt besaß einen Park, dessen Wege mit Kies aus Halbedelsteinen bedeckt waren. Die Oberhäupter der zwölf ältesten und auch reichsten Familien der Stadt stifteten zum Namenstag des Kaisers eine Torte in Form des Petersdoms, nur etwas größer. In der Regel aber aßen sie die Lebern von ausgesucht reinrassigen Hunden, die ausschließlich mit Mäusen gefüttert wurden, die sich wiederum ausschließlich von Kaviar ernähren durften.

Und schließlich und endlich: die Stadt war so reich, daß sie sich einen eigenen Papst halten konnte. 

 

Eines Tages, es war ein mäßig trüber Mittwoch im Juni, betrat der Bettler die Stadt. Erst die in Brokat gekleideten Schulkinder, dann die in nebeldünnen Flor gekleideten Jungfrauen, dann die Mütter mit den in Seidenwindeln gewickelten Kleinkindern auf dem Arm, endlich die Bürger, die Herren, die Senatoren, endlich die Hohen Geheimen Ratsversammelten eilten herbei, um so etwas zu sehen: einen Bettler. Mehrfach war in der Stadt ein Nashorn gezeigt worden, einmal ein Einhorn und einmal ein siamesischer Walfisch-Zwilling, aber so etwas hatte man noch nie gesehen: einen Bettler.

Der Bettler stand, in Lumpen gehüllt, auf eine Krücke gestützt, an der Ecke der Dublonenstraße/Krösus-Allee und hielt einen Holzteller hin. Der Rat beschloß daraufhin, der Stadt den Bettler zu erhalten. (Sowohl die Nashörner als auch das Einhorn waren eingegangen; der siamesische Wal-Zwilling war schon ausgestopft angekommen.) Er wurde daher mit einem zerlumpten Kleid aus Damast ausgestattet, bekam eine verbogene Krücke aus Mahagoni mit Elfenbeingriff und eine Bettelschüssel aus einem einzigen, großen, geschliffenen Amethyst. Und wenn er nicht gestorben ist, lebt er noch heute.