„Meiner Seel‘, da Pfeifer-Huisele!“ Die alte Frau ließ das Tablett fallen, bekreuzigte sich dreimal und war so schnell wieder aus der Türe, dass Günter ihr nicht einmal etwas hinterherrufen konnte. Die kleine Szene hatte ihn gleichermaßen verwirrt und verärgert. Verwirrt, weil er die Frau nicht kannte, und den Pfeifer, den sie gesehen haben wollte, auch nicht. Verärgert, weil er vor lauter Schreck mit dem Pinsel ausgerutscht war und einen schwarzen Schmierer über die Wand gezogen hatte.

It’s the pain of your secret heart
Bringing you to tears

Günter schaltete die Musik aus, machte einen Schritt über das surrealistische Muster aus Kaffee, Scherben und Apfelkuchen und fuhr runter ins Dorf.

Stiegler war im Krug. Stiegler war Günters Auftraggeber. Er hatte das Haus von seiner Großtante geerbt und ließ es aufwändig modernisieren. Dazu gehörte auch das Musikzimmer, das Günter mit zwei Motiven von Uriah-Heep-Schallplatten ausmalte. Demons and Wizards auf der linken Seite, The Magician`s Birthday auf der rechten. Stiegler hatte ihn mit allem versorgt, was er dazu brauchte. Mit den Vorlagen auf original Plattencovern und mit einer Handvoll CDs.

„Das ist die beste Inspiration“, hatte er gemeint, und Günter konnte nicht abstreiten, dass die Songs perfekt zu den Motiven passten: knallige Farben, fantasievolle Welten, geheimnisvolle Figuren.

Günter bestellte einen Wein und erzählte. Dass die Arbeit gut voranging. Und dass die Holzdielen einen unschönen Kaffeefleck aufwiesen, weil eine ihm unbekannte, schreckhafte Frau Kaffee bringen wollte.

„Ich kenn keinen Pfeifer-Huisele“, sagte Stiegler amüsiert. „Und Kaffee hab ich auch keinen liefern lassen.“

Der Wirt half aus. „Das war die Stuhlerin. Die hat schon die anderen Handwerker mit Kaffee versorgt. Und der Pfeifer-Huisele …“ Er machte eine kurze Pause. „… den haben wir schon lange nicht mehr gesehen hier.“

„Und, wer genau ist dieser Pfeifer?“

„Na ja, ist halt so eine alte Legende. Es heißt, er hat einen Pakt mit dem Schwarzen und kann hexen.“

„Ach so“, sagte Günter und ergänzte. „Dann ist er in dem Zimmer ja genau richtig.“

Sie fuhren mit Stieglers Wagen zum Haus und natürlich lief im Autoradio Uriah Heep.

There rides the rainbow demon
On his horse of crimson fire

 „Nein“, erklärte Stiegler ungefragt. „Natürlich höre ich das nicht dauernd. Aber jetzt passt es einfach perfekt. Und jetzt bin ich gespannt auf die Bilder.“

„Die linke Seite ist fertig“, erklärte Günter, noch während er die Türe aufschloss. „Das Grün kommt jetzt allerdings etwas zu dunkel heraus, werde ich aufhellen.“

„Und rechts fehlen noch der Himmel und die Blumen. Den Schmierer im Dämon …“ Günter stutzte. Da war kein Schmierer mehr. Und da war auch kein Dämon. Stiegler schaute ihn stirnrunzelnd an und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Günter drehte die Arbeitsleuchte gegen die Wand. Nichts! Der rote Dämon war weg. Verschwunden, so als hätte er ihn nie gemalt.

„Wann bist du denn fertig mit allem?“, fragte Stiegler schließlich.

„Morgen“, sagte Günter bestimmt. „Morgen zum Frühstück!“

Ein Schmunzeln huschte über Stieglers Gesicht. „Passt. Ach ja, und das Fenster nicht offen lassen, es könnte regnen heute Nacht.“

Das Fenster? Er hatte es ganz sicher zugemacht. Ziemlich sicher. Also wahrscheinlich schon. Aber jetzt stand es einen Spalt weit offen.

Stiegler tippte mit zwei Fingern an die Stirn. „Also morgen, so gegen zehn.“

It’s raining outside
But that’s not unusual
But the way that I’m feeling
Is becoming usual

Es fing tatsächlich an zu regnen, wie Stiegler prophezeit hatte. Günter fuhr nach Bozen in den Supermarkt. Mit Putzgerät und einem Sixpack Red Bull kam er zurück. Zuerst verfrachtete er die Reste von Kuchen und Geschirr in den Müll. Den Kaffee hatten die Holzdielen bereits gierig aufgesogen. Gegen drei Uhr morgens war die letzte Dose Red Bull geleert. Das Grün im Cape des Zauberers war heller, die Blumen wuchsen in den imaginären Himmel und der rote Dämon stand wieder auf seinem Felsen.

I challenge you
I challenge you all
For all you own
And all you know
And by all the powers of darkness
I will steal what is mine

Günter hatte noch einmal dieses Lied aufgelegt – The Magician`s birthday. Wobei er sich nicht sicher war, wer auf diesem Bild nun eigentlich der gute Zauberer war und wer der Böse. Es war alles fertig. Morgen geht es nach Hause.

Sunrise
And the new day’s breakin‘ through
The morning
Of another day without you

„Doch früher aufgestanden“, rief Günter am nächsten Morgen durch das offene Fenster. Aber er bekam keine Antwort, fand die Haustüre verschlossen und das Haus leer. Dennoch war das Fenster offen. Wieder. Und dieses Mal war Günter sich ganz sicher, dass er das Fenster geschlossen und den Dämon gemalt hatte. Komplett. Ohne Schmierer. Jetzt ragte der Felsen wieder leer und verloren in den Himmel, der Zauberer deutete ins Nichts, sein Feind hatte das Weite gesucht.

Günter wusste nicht, wie lange er einfach so dagestanden hatte. Ohne Regung und irgendwie auch ohne einen Gedanken fassen zu können. Stiegler riss ihn aus seiner Leere. Er grinste übers ganze Gesicht und war denkbar guter Laune. Auf seinen fragenden Blick deutete Günter nur aufs offene Fenster.

Sky full of eyes
Minds full of lies
Black from their cold hearts
Down to their graves

„Da ist er raus?“, fragte Stiegler belustigt.

Günter antwortete nicht. Er nahm die Lupenbrille und untersuchte die Stelle, auf die er den Dämon erst vor wenigen Stunden gemalt hatte. Nichts war von ihm zu sehen. Auch keine Spuren davon, dass jemand ihn übermalt oder aus dem Bild retuschiert hätte. Das Bild auf der Wand war unversehrt, so als hätte Günter nur den leeren Felsen und den Himmel gemalt.

„Setz dich!“, kommandierte er Stiegler auf einen Stuhl. Mehr als zwei Stunden musste sein Zeuge einfach nur dasitzen und zuschauen, wie er den Dämon ein weiteres Mal auf den Felsen stellte. Eine rote Gestalt mit zorniger Fratze. Stiegler fand die Situation affig und machte gequält gute Miene zum langweiligen Spiel. Dann war das Bild komplett.

„Aus dem Frühstück ist also ein Mittagessen geworden“, bemerkte Stiegler später im Krug. „Aber das Bild ist fertig. Die Bilder sind fertig – und sie sind spitze. Finde ich.“ Er schob Günter einen Umschlag hin. Der steckte ihn ein, ohne hineinzuschauen. Wird schon stimmen.

„Wann fährst du?“

„Bin praktisch auf dem Weg.“

„Also dann, vielen Dank noch mal. Und wenn ich wieder was hab, dann melde ich mich.“

„Gerne“, erwiderte Günter, bedankte sich fürs Essen und verabschiedete sich.

Am Ortsrand stoppte er, wendete und fuhr noch einmal an Stieglers Haus vorbei. Das Fenster war wieder offen. Günter gab Gas und verließ den Ort. Er schaute nicht hinein, wozu auch?

But I’m just a traveler in time
Trying so hard to pay for my crime

 

 

Richard Fliegerbauer